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Heul doch, Dingens!

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Im Internet kursiert ein SPD-Austritts-Artikel. Yasmina Banaszczuk ist beleidigt, weil Sigmar Gabriel gemein zu ihr war:

Nachdem er mich letztes Jahr bei der Diskussion zum Mitgliederbegehren mit den Sätzen “diese Arschlöcher im Internet labern immer nur Scheiße und haben gar keine Ahnung!” begrüßte (ja, hi, freut mich auch Sigmar), hielt er sich dieses Jahr auch nicht zurück: diese Internetaktivist_innen wären ja alle Berliner Intellektuelle, die keine Ahnung von Lebensrealitäten und “richtigen” Wahlkreisen hätten, erklärte er Kathy, mir und nebenbei auch dem versammelten Publikum. Und da ist irgendwas in mir zerbrochen.

Was schlimm daran ist, wenn ein SPDler Arschloch sagt, ist mir nicht ersichtlich. Einer meiner Lieblings-SPDler, Peter Struck, ist für diese Bezeichnung berühmt. Und Debattenheld Herbert Wehner empfahl seinem Parteigenossen Franz Josef Zebisch mal, sich in „Genosse Arschloch“ umzubenennen. Zur Benutzung des Begriffs in der Politik gibt es sicherlich noch hundert weitere Beispiele.

Im Netz ging der Begriff letztens rum, als moeffju was bloggte. moeffju ist aus dem Netz und vielleicht etwas zu mimosig, was das Verhältnis zu anderen Menschen betrifft. So wie eben auch diese jungen SPD-Frauen, die sich so leicht von dem Wort “Arschloch” ins Bockshorn jagen lassen.

Ich selbst nutze das Wort für solche, die mir den Rücken zuwenden, nicht mit mir sprechen wollen. Habe es schon häufiger verwendet und meist gab es dafür ziemlichen Ärger. Gleichwohl ist es wichtig, sich die Wortbedeutung als “wer einem das Arschloch (und nicht das Gesicht) zuwendet” einmal genauer anzusehen in Bezug auf Internetkommunikation und die Berliner Blase.

Was soll ich dazu sagen? Sind doch Arschlöcher. Labern oft rum, kommen nicht zum Kern der Sache (Was ist das denn eigentlich, dieses Freiheit?) und machen schlechte Kampagnen. Die einen sammeln Follower, machen die Empörung zum Geschäftsmodell oder fühlen sich voll hipstergeil, weil sie Teil einer ominösen “Netzgemeinde” sein wollen. Wenn die anderen ihnen nicht genug zuhören oder sie gar kritisieren, weil sie langweiliges Zeug und thesenlose Texte geschrieben haben, behaupten sie, Twitter sei totalitär oder tauge nur zum Verteilen von Katzenbildern. Überhaupt ist die Berliner Internetblase viel zu männlich-applenutzer-mittelmäßig normiert.

Wenn Frauen das kritisieren, dann ist es richtige Kritik – aber wenn Siggi dasselbe sagt, dann ist es FOL FIES und hindert einen am parteipolitischen Engagement.

Da muss überhaupt kein “Seriously?” mehr hin, wie es in diesen Kreisen, die auch gerne Instagram-Bilder mit Ommmmm (oder so) posten, so gerne gesagt wird. Da hat der Siggi einfach mal den Finger in die Wunde gelegt und die SPD-Mädchen lassen sich davon wütend machen. Noch ein paar Begriffe: Selbstüberschätzung, Egozentrismus, mangelnde Kritikfähigkeit, Netzgemeinden-Gehype, Irrelevanz. Traurige Wahrheit: der Sommer der Netzsperren ist schon drei, vier Jahre vorbei und es ist nicht gelungen, die Energie ins Jetzt zu überführen, auch weil die Netzbewegung strukturell kaputt ist. Vielleicht wurden aber auch Fehler gemacht. Vielleicht wurden Fehler gemacht, die strukturell sind. Zum Beispiel, dass im Internet besonders viele Arschlöcher mitreden bzw. mit sich selbst reden. Könnte ja sein?

Fragezeichenmödchen meldet sich zu Wort zu einem weiteren Bereich: dem parteipolitischen Angajemang. Internetmödchen, du willst, dass sich dir alle Türen öffnen? Nach nicht mal zwei Jahren?

KullerZeit! ROFL! ROFL! ROFL!

Dazu kann ich nur sagen, ich bin insgesamt wohl mehr als 10 Jahre Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen, und wenn es mir keinen Spaß machen würde, Schindluder mit den Psychen meiner Mitmenschen zu treiben, dann hätte ich wohl längst keinen Spaß mehr daran. Letztens trat ich den Grünen nach einer Pause wieder bei und da sagten meine besten Freunde zu mir, ich solle jetzt erstmal arbeiten. Arbeiten! Wie im Lager? Das machte mich sehr wütend. Weil ich schon gearbeitet habe, im Kreisverband, bei der Grünen Jugend, im Parteirat. Aber so funktionieren Parteien nun mal. Ich sollte nicht nur arbeiten, sondern meine Freunde sorgten indirekt auch dafür, dass ich nicht sofort wieder auf eine Mailingliste konnte, die ich selbst gegründet hatte. Ich habe mich nach besten Möglichkeiten dafür zu rächen versucht, und auch, wenn ich mich da auch blamiert habe – kein Kontrollverlust ohne Schaden – so hat es doch Spaß gemacht. Ein bester Freund hat mir nach Jahren per SMS die Freundschaft gekündigt. Informationen zu echten, realen Wunden, die man sich so mit dem Parteileben schlagen kann – hier werden Sie geholfen!

Parteipolitisches Engagement ist strukturell krank! Kann man sagen. Der ganze Rest, Kapitalismus, Krieg und Patriarchat und Freie Kameradschaften und Missbrauch und Sportvereine und Familien und Ödipus und Goethe und Kleingärtenvereine und Nachbarn, die sich bei der Hausverwaltung beschweren, diese ganzen Übel – die sind aber auch nicht gesund.

Als ich bei der FAZ ein Blog hatte, machte ich mich sicherlich unbeliebt mit dem Artikel “Christian Wulff ist einfach ein schlechter Politiker”. Ja, es ist einfach, sich hinzustellen und mal schön auf die Parteien raufzubashen, weil es alle machen, weil man selbst nicht mit Macht umgehen konnte und traurig ist, dass andere das besser konnten. Wahrscheinlich gibt es in der SPD sexistischere Zustände als in den Grünen, aber nun ja

Dieses System von Parteivorsitzenden, die sich von jungen Frauen so bedroht fühlen, dass sie ihnen einfach pauschal unterstellen, dass sie keine Ahnung von politischen Prozessen im Allgemeinen hätten, weil sie die GroKo ablehnen, und von innerparteilichen Prozessen im Speziellen hätten, weil sie Vorwahlen für die Kanzlerkandidatur fordern.

Jaja, dieses System. Wohl zu viel Luhmann gelesen? Oder zu wenig? Warum ist hier die Geschlechterfrage interessant? Fühlt sich Sigmar Gabriel tatsächlich bedroht von jungen Frauen aus dem Internet? Wohl kaum. Und damit hat er recht. Ist ziemlich arschlochhaft, hier die Geschlechterkarte zu ziehen, wo doch gar keine notwendig ist. Aber klar: Yasmina könnte mit diesem populistischen Gepöbel gut Juso-Vorsitzende werden.

An sich sind Parteien eben hierarchisch und wo es Macht gibt, wird um sie gerungen. Macht ist da und wenn man sie sich nimmt, dann kann man sie benutzen – aber man sollte nicht denken, dass sie einem, einmal verliehen, immer bleibt, ohne dass sie verteidigt werden muss. Wenn man gleich so rummimost wie diese jungen Menschen aus dem Internet, dann kann das ja nichts werden. Sollen erstmal ein paar Nächte beim Castor draußen schlafen, und sich mal 30 Jahre gegen etwas einsetzen, dann sehen sie, wer wirklich Arschloch ist und wer Kritik übt.

Ich hab mich in meiner Partei nicht eingeschleimt wie diese jungen Menschen, die anscheinend von Siggi gelobt werden wollen oder Juso-Vorsitzende werden oder von Andrea Nahles voll reformistisch und erlaubt irgendwelchen Genderquatsch geschenkt bekommen. Dennoch hatte auch meine Rolle eine gewisse Funktion, vielleicht ein bisschen wie Ströbele. Sprich: auch wenn ich mich hier groß hinstelle und sage, ich bin die große Outsiderin, so ist vielleicht auch das Selbstbetrug. Parteien brauchen Outsider, um ihr Profil zu schärfen. Frustriert könnte man sich hinstellen und sagen, es gibt kein Außen, jeder ist Parteisoldat – aber naja, man kann zumindest versuchen, was zu “bewegen”, was zu “sprengen” und danach kann man immer noch sehen, ob man damit jemand weh getan hat oder doch nur die innerparteiliche Opposition dargestellt, performt hat.

Ich weiß nicht, was der Anspruch an parteipolitisches Engagement ist. Aber echt mal, son Kindergarten wie da bei Yasmina – ein geheimer Einsender wies mich darauf hin, dass in dem Artikel 1360 Wörter seien. Davon 60 Mal das Wort “ich”.

Internet-Kindergarten. Mit euch kann man keine Revolution machen. Geld und Macht sind euch egal, ihr nehmt sie auf /ignore und denkt, damit ist das Problem gelöst. Kritische Meinungen, also die Meinungen der Anderen bzw. andere Meinungen sind Trollerei. Der Artikel von Yasmina kann als Beispiel dienen, was diese Internetleute für Mimosen sind. Kommentare sind da auch nicht zugelassen. Schrei doch zurück, Mädchen – “Selber Arschloch” zum Beispiel. Tja, trauste dich wohl nicht.

Wie gesagt, geht erstmal zum Castor, hackt mal nen Parteitag, engagiert euch ein paar Jahre, erlebt mal wirklich schlimme Intrigen und innerparteiliche Kriege, Hass, …

… wenn euch das nicht interessiert, bleibt bei Facebook. Gute Nacht, G8.


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